Der gefährlichste Angriff auf den Sonntag geschieht in der Form einer scheinbar harmlosen, in Wirklichkeit jedoch heimtückischen Frage, der Frage: „Was kostet uns der Sonntag?“ Dieser Angriff wirkt wie der Anschlag der alten Dame in Dürrenmatts Stück „Der Besuch der alten Dame“. Die alte Dame setzt einfach einen exorbitant hohen Preis auf den Tod jenes Mannes, mit dem sie eine Rechnung zu begleichen hat. Die Mitbürger des Mannes weisen den unsittlichen Antrag zunächst entrüstet zurück. Die Dame reist ab, aber das Angebot wirkt wie ein langsames Gift. Gefallen sind die Würfel in dem Augenblick, wo die Mitbürger sich zu fragen beginnen, was sie alle, was einen jeden von ihnen das Leben dieses Mannes kostet. Die Wahrheit ist natürlich, daß es sie gar nichts kostet, denn der Mann will ja nichts von ihnen. Aber der Sündenfall geschieht in dem Augenblick, wo sie die ökonomische Denkweise, nach welcher entgangener Gewinn Verlust ist, auf das Leben eines Menschen ausdehnen. Sie haben ihn sozusagen gedanklich schon getötet, das Geld dafür kassiert und fühlen sich nun so, als müßten sie es wieder hergeben, wenn sie den Mann leben lassen. Und das ist ihnen zu teuer. Hundert Millionen für einen Menschen, ist das nicht ein bißchen viel?

Bei dieser Rechnung ist klar, daß der Mann verloren ist.

Und bei dieser Rechnung ist auch der Sonntag verloren. Die Frage: „Was kostet uns der Sonntag?“ oder „Wieviel wollen wir ihn uns höchstens kosten lassen?“ ist eine heimtückische Frage, die selbst schon der entscheidende Anschlag auf den Sonntag ist. Der Sonntag ist nämlich gerade dadurch Sonntag, daß er nichts kostet und – im ökonomischen Sinne – nichts bringt. Die Frage, was sein Schutz als arbeitsfreier Tag kostet, setzt nämlich voraus, daß wir gedanklich den Sonntag bereits in einen Arbeitstag verwandelt haben und dann den Ertrag berechnen, den wir verlieren, wenn wir auf diesen Arbeitstag verzichten.

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Autor

Prof. Dr. Robert Spaemann

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