Zur historischen Kritik der Apostelgeschichte
Die kritische Actaforschung hat die Apostelgeschichte nicht unbeschadet überstanden. Die verschiedenen kritischen Wellen haben sich zwar totgelaufen, aber eine neue Synthese, die allgemein akzeptiert wird, ist nicht in Sicht. An die Stelle der alten Hochschätzung ist zumindest in der deutschen Forschung eine äußerst skeptische Wertung getreten. Wer gegen die Phalanx von Dibelius, Conzelmann und Haenchen nach Forschern sucht, die die historische Glaubwürdigkeit der Apostelgeschichte hoch veranschlagen, trifft im 20. Jh. zwischen Harnack und Hengel nur auf zwei Außenseiter. Sie wurden von der „kritischen“ Richtung nicht rezipiert: Über Wikenhauser konnte man als „konservativen“ Katholiken hinwegsehen, und der Althistoriker Ed. Meyer war einfach unzeitgemäß. Die Kritik warf ihm vor, die religionsgeschichtliche und formkritische Forschung nicht berücksichtigt zu haben. Eine nicht zu übersehende Unterstützung erfuhr er allerdings durch Lietzmann. Auch dieser führt in seiner Besprechung zwar aus, Meyer habe für den 1. Band eine ganze Reihe wichtiger Arbeiten zur Evangelienforschung nicht zur Kenntnis genommen, deutet aber an, daß er das in gewisser Weise für ein Glück hält. Er spricht von einer „immer stärkeren Atomisierung des Materials“. In einem „Nebelmeer ... zerflatternder Erscheinungen“ sei ein „Weg zu klaren Tatsachen eines historischen Lebens Jesu“ nicht mehr zu finden. „Ich begrüße M.s Werk gerade darum so freudig, weil es unbeirrt durch solche Fülle schwankender Gestalten und unbekümmert um etwaige extreme Möglichkeiten, die den peinlichen Skeptiker schrecken, wieder zu dem normalen Vertrauen zurückkehrt, mit dem der Historiker auf allen anderen Gebieten ganz selbstverständlich und unbefangen den ermittelten besten Quellen entgegentritt.“ Lietzman hätte sicher keine Bedenken gehabt, dies Urteil auch auf den 3. Band auszudehnen. Für Meyer hat nach seinen eigenen Worten, seit er die Apostelgeschichte in der Prima gelesen hatte, festgestanden, „daß dieses Buch eines der bedeutsamsten uns aus dem Altertum erhaltenen Geschichtswerke ist“.
...
Seit Jahren bin ich schockiert über die Art, wie die Neutestamentler mit ihren Quellen umgehen. Sie haben es geschafft, alles so in Frage zu stellen, daß sowohl der historische Jesus wie der historische Paulus kaum noch faßbar sind. Wenn die Althistoriker diese Maßstäbe übernähmen, könnten sie sich gleich verabschieden. Es gäbe nicht mehr viel zu bearbeiten. Es sei deshalb nicht als Zeichen von Arroganz gewertet, wenn hier zunächst auf althistorisches Grundlagenwissen rekurriert wird.