Die "Schuldfrage" vor dem Hintergrund der christlich-jüdischen Beziehungen

Das Verhältnis zwischen Christen und Juden ist seit alters durch den Vorwurf einer Kollektivschuld der Juden am Tode Jesu belastet. Darin gipfelt ja der religiös motivierte Antijudaismus, der sich jahrhundertelang in Diskriminierungen und Ausschreitungen manifestiert und einen Teil des Nährbodens für den rassistischen Antisemitismus der Nationalsozialisten geliefert hat. Wir dürfen allerdings heute hoffen, daß seine Aufarbeitung und Überwindung gelingen wird, denn die neutestamentliche Exegese stellt sich inzwischen offen der Frage, ob es für eine pauschale Schuldzuweisung am Tode Jesu überhaupt eine Grundlage in den Quellen gibt, und diese Fragestellung fällt ihr umso leichter, als sich die jüdischen Stimmen mehren, die eine positive Beurteilung der Person Jesu erkennen lassen...

... Die nachfolgende Untersuchung will in Auseinandersetzung mit dieser Sichtweise den rechtserheblichen Gehalt der Passionsberichte herausarbeiten und auf seine geschichtliche Glaubwürdigkeit prüfen, nicht zuletzt hinsichtlich des jüdischen Anteils an den Vorgängen. Dazu ist zunächst die Frage nach außerbiblischen Zeugnissen für den Prozeß gegen Jesus (II.) und nach neutestamentlichen Zeugnissen außerhalb der vier Evangelien (III.) zu stellen; dann sind die Berichte der Evangelien über die Verhaftung (IV.), über die Sitzung des Hohen Rates (V.) und über die Verurteilung durch Pilatus (VI.) im Lichte exegetischer und rechtshistorischer Forschungsergebnisse zu würdigen, um schließlich (VII.) zu dem Anliegen einer "Revision" der Passionsberichte Stellung zu nehmen.

Autor

Prof. Dr. Gerhard Otte

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