Konsequenzen aus den Wissenslücken evolutionsbiologischer Naturforschung

Die Evolutionsbiologie ist eine naturwissenschaftliche Disziplin, welche als kausale Evolutionsforschung streng empirisch arbeitet. Auch die historische Evolutionsforschung beschränkt sich bei der Suche nach möglichen Szenarien für die Entstehung und Evolution des Lebens auf natürliche Ursachen und Gesetzmäßigkeiten und gehört in diesem Sinne eher zu den empirischen Wissenschaften, obgleich ihre Theorien nicht direkt experimentell getestet werden können. Die Ergebnisse der kausalen Evolutionsforschung (experimentelle Beschreibung mikroevolutionärer Vorgänge) sind weitgehend unstrittig. Der Nachweis, dass Evolvierbarkeit zu den Grundeigenschaften des Lebens gehört, ist eine kaum zu überschätzende Forschungsleistung der kausalen Evolutionsforschung seit Charles Darwin. Andererseits wird die Synthetische Evolutionstheorie („Neo-Darwinismus“) hinsichtlich ihrer Erklärungskraft zur makroevolutiven Entstehung von „novelties“ (z. B. neuer Baupläne oder molekularer Maschinen) zunehmend kritisiert.

In diesem Aufsatz wird die Frage nach der Makroevolution molekularer Maschinen am Beispiel des Bakterienrotationsmotors auf einer proteinbiochemischen Ebene diskutiert.

Wissenslücken der Evolutionsforschung im Rahmen von Intelligent Design (ID) werden mitunter als fundamental und deshalb als naturwissenschaftlicher Beleg für die Existenz eines Schöpfers betrachtet. Allerdings lässt sich mit naturwissenschaftlichen Methoden nicht stringent zeigen, dass gegenwärtige Wissenslücken fundamental sind. ID ist m. E. keine naturwissenschaftliche Alternative zur Evolutionsbiologie.

Dieser Aufsatz ist zunächst ein Plädoyer für das Eingeständnis, dass wir über die Geschichte des Lebens vieles nicht wissen. Er ist außerdem ein Plädoyer für die Bereitschaft, auch für unerwartete oder unerwünschte Tendenzen und Ergebnisse des evolutionsbiologischen Forschungsprozesses offen zu sein. Für Naturwissenschaftler, die einen christlichen oder einen atheistischen Glauben vertreten, könnte eine solche Bereitschaft allerdings zu einer nicht vernachlässigbaren Herausforderung werden.

Autor

Prof. Dr. Siegfried Scherer

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