Ist nur selbstbestimmtes Leben und Sterben menschenwürdig?

Zu keiner Zeit mussten Menschen so wenig Schmerzen erleiden und leidvoll sterben wie in der Gegenwart, vor allem dank der Fortschritte der Medizin. [...] Die wesentlichen Gründe für die gegenwärtige Debatte über „Beihilfe zur Selbsttötung“ und „Tötung auf Verlangen“ sind also nicht darin zu finden, dass Menschen heute besonders schwer leiden müssen, sondern vor allem in der Individualisierung und Säkularisierung der Lebens- und Wertvorstellungen. Der Mensch, der kein „Jenseits“ dieses „Diesseits“ mehr glaubt, sieht nicht mehr ein, warum er das Leben bis zum bitteren Ende erleiden soll. Und weil er nicht mehr glaubt, dass er sein Leben Gott verdankt, betrachtet er sein Leben als seinen Besitz, über den er nach seinem Ermessen verfügen darf. Im Zuge dieses Wandels der Lebensvorstellungen wurde die Autonomie zum moralischen und rechtlichen Leitbegriff, ja zum allein maßgeblichen Inhalt der Menschenwürde nach Artikel 1 des Grundgesetzes. Daraus wird abgeleitet, dass der Mensch ein positives Recht auf Selbsttötung hat und darauf, dazu die Hilfe anderer in Anspruch zu nehmen. Jeder darf selbst bestimmen, was für ihn ein menschenwürdiges Leben und Sterben ist und wie er sterben will. Vorausgesetzt wird dabei immer mehr, dass nur ein selbstbestimmtes Sterben menschenwürdig sei.

Autor

Prof. Dr. Ulrich Eibach

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